Das kunstvollste Konzert des Jahres: The Smile faszinieren ihre Fans beim Auftritt im Hamburger Stadtpark
Text und Fotos von Gérard Otremba
Nicht nur mein geschätzter Kollege Werner Herpell bezeichnet in seiner S&B-Review „Wall Of Eyes“ als ein „Meisterwerk“. „Wall Of Eyes“ ist im Januar dieses Jahres erschienen und nach „A Light For Attracting Attention“ von 2002 das zweite Album von The Smile. Gerne hätte man auch Radiohead im Stadtpark erlebt, aber Thom Yorke und Jonny Greenwood haben zunächst einen anderen Weg gewählt und mit Schlagzeuger Tom Skinner von Sons Of Komet The Smile gegründet. Am 08.06.2024 gastierte das britische Trio, begleitet von Robert Stillman (Saxophon, Klarinette und Keyboard) vor gut 4000 Besuchern auf der Hamburger Stadtpark-Open-Air-Bühne, um die Songs der zwei Alben live zu präsentieren. Songs, die jenseits des herkömmlichen Pop liegen, viele Mainstreamhörer eher verschrecken, aber häufig von einer unergründlichen Schönheit zeugen.
Der tänzelnde Thom Yorke
Wettertechnisch hatten Band und Publikum Glück im Unglück, der fette Regenschauer hörte rechtzeitig bis zum Beginn mit „Wall Of Eyes“ um 20.20 Uhr auf, die Temperatur von circa 13 Grad passte indes eher zu einem herbstlichen Open-Air-Ereignis. Die vier Musiker nahmen ihre Plätze nebeneinander in einer Reihe ein und setzten ihren so ungewöhnlichen Sound live auch ohne Streicher kongenial um. Yorke, Greenwood, Skinner und Stillman blühten in ihren Parts voll auf. Obwohl man durch die Bühnenanordnung hätte meinen können, jeder spielte nur für sich, stimmte alles punktgenau. Im beatlastigen „Don’t Get Me Started“ offenbarte sich Thom Yorke gar als tänzelndes Bewegungstalent, während er bei „Skrting The Surface“ mit Handzeichen die Fans um lautstarke Unterstützung bat. Die sind nicht etwa aufgrund von Langeweile erstarrt, sondern folgten dem musikalischen Treiben gespannt und aufmerksam. The Smile sind auch nicht unbedingt für mitreißende Hits bekannt, die die Menge zum Toben bringen würden.
The-Smile-Highlights
Stattdessen stehen sie für eine Melange aus Prog-Rock, Art-Pop, Krautrock, Jazz und Indie-Pop-Rock, der Seinesgleichen sucht. Yorke und Greenwood wechselten sich häufig in der Benutzung von Bass, Gitarre, Piano/Keyboard ab, Greenwood dabei fast bis zum Schluss mit Kapuzenjacke und als Shoegazer unterwegs. Höhepunkte gab es en masse. Herausragend für mich das nervös-spacige „Thin Thing“ sowie das Finale vor den Zugaben mit dem treibenden „We Don’t Know What Tomorrow Brings“, der Piano-Ballade „Pana-Vision“, dem hypnotischen „Under Our Pillows“, bei dem sich Yorke als Maestro inszenierte, dem für The-Smile-Verhältnisse punkigen „You Will Never Work In Television Again“ und natürlich dem epischen „Bendic Hectic“, das so zart beginnt und sich in ein entfesseltes und verstörendes Ungetüm verwandelt. Elegisch fiel das Ende mit dem dahingleitenden und doch gespenstischen „You Know Me!“ aus. Eins ist sicher: Ein kunstvolleres Konzert wird es dieses Jahr beim Stadtpark-Open-Air nicht mehr geben. Und The Smile bestätigen ihre Klasse.



















